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Kurt Bliefernicht Porträt: "Ich werde ein Lernender bleiben"

Nachfolge gesucht

Kurt Bliefernicht im Gespräch (September 2023)

Vor 20 Jahren hat Kurt Bliefernicht die Gesamtleitung im Hospiz Luise übernommen, nachdem er zuvor bereits neun Jahre als stationäre Pflegekraft im Haus gearbeitet hatte. Im Sommer 2024 wird er in den Ruhestand verabschiedet, nach insgesamt fast 50 Jahren im Pflegeberuf. Seine Stelle ist zur Zeit ausgeschrieben. Das Gesprächs-Porträt ist im Hospiz Luise entstanden, um Kurt Bliefernicht als Mensch vorzustellen und um zugleich deutlich zu machen, was sich während seiner Dienstjahre in der Hospiz- und Palliativbewegung verändert hat.

Wo und wie bist du aufgewachsen? Ich bin als jüngstes von vier Geschwistern auf einem Bauernhof in dem 170-Seelen-Dorf Brake im Landkreis Diepholz groß geworden. Ich wusste schon früh, dass ich kein Bauer werden wollte, sondern Krankenpfleger. Die Ausbildung habe ich schon mit 15 Jahren auf der Pflegevorschule der Diakonissen in Minden begonnen, mit 20 mein Examen gemacht und war mit 23 Jahren einer der ersten Gemeindepfleger in einer frisch gegründeten Diakonie-Sozialstation in Ottersberg-Oyten.

Warum bist du in die Pflege gegangen? Ich habe als Kind den Umgang mit Tod und Sterben im Dorf erlebt, die nachbarschaftliche Hilfe im Miteinander und vor allem die Gemeindeschwester Christa. Ich war dabei, wenn Schwester Christa meinen Opa bei uns zuhause gepflegt hat, zu dem ich immer einen besonderen Draht hatte. Das hat mich tief beeindruckt und den Wunsch entstehen lassen, später genau das auch zu machen. Nach der Ausbildung habe ich erstmal drei Jahre im Krankenhaus gearbeitet, danach elf Jahre als Gemeindepfleger auf dem Land. Im Rückblick war das vom Ansatz her eine ambulante Versorgung, wie sie sein soll, ganzheitlich und mit Berücksichtigung des gesamten Familiensystems. Damals habe ich aber auch erlebt, dass Sterbende oft nicht gut versorgt waren. Wer nicht „heilbar“ war, der wurde nicht mehr intensiv betreut. Damals entstand bei mir der Wunsch, das zu ändern, weil die letzte Lebensphase ganz besonders wichtig sein kann – und Sterben gehört zum Leben dazu, bis zuletzt.

Du gehörst zur „Pioniergeneration“ in der Hospiz- und Palliativbewegung in Norddeutschland. Was war und ist euch wichtig? Kurz nach der Eröffnung vom Hospiz Luise habe ich hier angefangen, am 01.01.95. In der Zeit wurde die Notwendigkeit einer Hospiz- und Palliativversorgung besonders dringend, weil es viele Aidskranke gab, die schlecht versorgt waren. Die Initiative zur Gründung des Hospiz Luise kam von der damaligen Vinzentinerin Sr. Katharina-Maria, die das Haus bis 2003 geleitet hat. Es war das erste stationäre Hospiz in Niedersachsen. Die Ruhe und die besondere Zuwendung für die Schwerstkranken, das hat mich sehr angesprochen. Ich war aber unsicher, ob ich das schaffe – mich intensiv um Patienten zu kümmern, von denen ich mich nach kurzer Zeit wieder verabschieden muss. Aber es gab zu Anfang eine Szene, die mich bestärkt hat. Die erste Patientin, die ich versorgt habe, schaute eines Tages aus dem Fenster und meinte: „Oh, der Schnee. Es gibt doch nichts Schöneres, als jetzt da draußen im Schnee zu sein.“ Und ich hab‘ geantwortet: „Ja, das glaube ich Ihnen, aber das geht ja leider nicht. Sie könnten ja eine Lungenentzündung bekommen.“ Meine Vorgängerin bekam das mit und sagte zur Patientin: „Sie wollen in den Schnee? Na klar, das machen wir.“ Und innerhalb von 10 Minuten standen wir draußen im Schneegestöber und die Patientin war sowas von glücklich. Da habe ich viel verstanden von der Hospizarbeit: So etwas zu ermöglichen und den Mut zu haben, nachzufragen ‚hey, was ist dir jetzt wichtig‘, in kleinen und größeren Dingen. Natürlich muss es Richtlinien geben, aber im Zentrum unseres Handelns muss jede und jeder Einzelne stehen, denn uns gibt es jeweils nur ein einziges Mal in diesem Leben.

Was hat sich seit der Gründung verändert? Vor 30 Jahren wurden Sterbende im Krankenhaus wenig beachtet, weil man sie ja nicht mehr „heilen“ konnte, so war die allgemeine Auffassung. Der Gedanke der ganzheitlichen Pflege und Begleitung einschließlich der Palliativmedizin hatte sich noch nicht durchgesetzt, auch in der Gesellschaft nicht. In der Nachbarschaft vom Hospiz Luise gab es in der Bauphase sogar Widerstand gegen das „Sterbehaus“. Man wollte nicht jeden Tag den Leichenwagen in der Nachbarschaft sehen.  Da war ganz viel Aufklärung nötig. Wir haben in den ersten Jahren viele Klinken geputzt, Gespräche geführt und überall für Offenheit und Unterstützung geworben, in der Gesellschaft und in der Politik. Seitdem ist viel erreicht worden in der Ausbildung von Medizin und Pflege oder dem Aufbau von weiteren ambulanten und stationären Institutionen in Hannover, auch im eigenen Haus. 1998 haben wir den Ambulanten PalliativDienst gegründet und 2015 den Ambulanten HospizDienst. Wir versorgen mittlerweile pro Jahr rund 120 Patient:innen stationär und weitere 300 ambulant, plus An – und Zugehörige, plus Angebote zur Trauerbewältigung. Und trotzdem: Wir leben in einer leistungsorientierten Gesellschaft, wo die Themen Sterben und Tod zwar mehr Platz haben als früher, aber weiter verdrängt werden. Es bleibt eine Herausforderung, den einzelnen schwerkranken Menschen in seinen Bedürfnissen zu sehen. Wir hatten anfangs das Fern-Ziel, uns überflüssig zu machen, weil die Menschen – egal wo sie leben - im Sterben gut begleitet werden könnten, aber das werden wir wohl nie ganz erreichen. Das öffentliche Engagement und die Aufklärung darüber sind wichtig geblieben und die Verankerung unserer Arbeit im Ehrenamt. Ohne das bürgerschaftliche, ehrenamtliche Engagement hätten wir das alles nicht geschafft.

Warum braucht es überhaupt stationäre Hospize? Im Hospiz werden Menschen aufgenommen, die unter einer hohen Symptomlast leiden. Die Schmerzen oder Nöte haben, die schwer beherrschbar sind, auf die unmittelbar reagiert werden muss. Sowas ist in anderen Strukturen einfach nicht zu bewältigen. Im Hospiz geht es aber nicht nur um die Reduktion der Symptomlast, sondern um den Blick auf den einzelnen Menschen in all seinen Bedürfnissen und in seiner individuellen Situation, mit oder ohne An – und Zugehörigen. Das zeigt der Name: Palliativmedizin kommt von Pallium. Das bedeutet einen wärmenden Schutzmantel um die schwerstkranken Menschen zu legen im ganzheitlichen Sinn, um Körper, Geist und Seele. Oft werden wir gefragt, warum es diese umfassende Zuwendung nicht auch in anderen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen gibt. Das ist eine sehr gute und berechtigte Frage, die aber nicht wir beantworten können, sondern Politik und Gesellschaft insgesamt. Dass die Situation in der Pflege so ist, wie sie ist, hat sich über Jahrzehnte angebahnt und es wird länger dauern, um dafür Lösungen zu finden. Dafür braucht es auch viele Menschen, die diesen Dienst tun wollen und gute Bedingungen dafür. An beidem mangelt es gerade. Und es wird Zeit, dass die Politik das verändert.

Was würdest du selbst gerne ändern, wenn du es könntest? Wir ertrinken in den Anforderungen von Dokumentation und allen möglichen Auflagen, die seit der Gründung dazu gekommen sind. Das bringt zwar an der einen oder anderen Stelle eine gewisse Sicherheit, aber das kostet wertvolle Zeit, die uns bei der Zuwendung am Patienten und den An – und Zugehörigen fehlt. Den „Papier-Aufwand“ müssen wir zurückdrehen.

Wie bist du aufgenommen worden von den Vinzentinerinnen, also der Kongregation der barmherzigen Schwestern des Heiligen Vinzenz von Paul? Die Aufmerksamkeit für jeden Einzelnen, die gibt es auch im Mutterhaus der Kongregation in Hildesheim. Das habe ich ganz persönlich erfahren dürfen. 1994 kam ich ins Haus als gerade trocken lebender Alkoholiker, als offen schwul lebender Mann und als jemand, der gerade aus der Kirche ausgetreten war. Das habe ich nach einigen Tagen Sr. Katharina Maria offen gesagt und gedacht ‚das war’s jetzt wohl, jetzt muss ich wieder gehen.‘  Aber sie hat sehr freundlich und gelassen reagiert und sagte einfach: „Ah ja.“ Und hat mich ermutigt, hier zu bleiben: „Sie passen hier rein.“ Das hätte ich nie vermutet. Und das ist nur ein Beispiel dafür, wie weltoffen und zugewandt die Vinzentinerinnen auf Menschen schauen. Kurze Zeit später bin ich wieder in die Kirche eingetreten, das hat für mich wieder gepasst. Ich habe im Lauf der Zeit oft den Weg ins Mutterhaus gesucht und immer ein offenes Ohr gefunden. 2003 wurde mir dann die Leitung angeboten.

Was verbindest du persönlich mit den Ordensgründern Luise von Marillac und Vinzenz von Paul? Die beiden haben immer geschaut, wo Menschen in Not sind und sie haben geholfen, unabhängig von der Religion, dem Status, dem Alter oder sonst irgendwelchen Kriterien. Sie wenden sich dem Menschen zu und fragen: Wer bist du, was brauchst du, was ist deine Not? Diese Haltung ist heute noch überall spürbar. Die Kongregation in Hildesheim hat für eine Flüchtlingsfamilie einen Wohntrakt geräumt, mit der Vinzenzpforte eine Essensausgabe für Obdachlose eingerichtet, und sie betreut weiterhin viele soziale Projekte in Peru, das sind alles wunderbare Beispiele dafür. An der Welt teilzuhaben und sie mit zu unterstützen und zu gestalten, das gehört zu ihrer barmherzigen Tradition.

Wie wichtig ist dir persönlich der Glauben an Gott? Ich bin mit dem christlichen Glauben groß geworden, nicht übertrieben, aber man ging sonntags in die Kirche. Dass mir der Glaube an Gott wichtig ist, das habe ich in einer tiefen Krise erfahren: Es gab den Moment, als ich vor einigen Flaschen Alkohol saß, aufhören wollte aber wusste, dass ich es alleine nicht schaffe. Da habe ich mich an „Vaddern“ gewandt und gesagt: ‚Jetzt bist du dran, ich kann nicht mehr.‘ Damals habe ich erfahren, dass Gott mich so gewollt hat – mit allen Stärken und allen Schwächen. In diesen Beruf zu gehen und für die Menschen da zu sein, das ist für mich auch Fügung, gottgewollt. Und wenn ich ratlos bin, dann wende ich mich an „Vaddern“, das hilft immer. Ohne Gott geht es für mich nicht.

Ins Hospiz Luise kommen Menschen, die nicht an Gott glauben oder einer anderen Religion angehören. Macht das einen Unterschied? Vom ersten Tag an war klar, dass dieses Haus offen ist für alle Menschen, die unsere Hilfe benötigen. Es gab zu Anfang noch die Auflage, dass die Mitarbeitenden und besonders die Leitung konfessionell gebunden sind, aber das hat sich geändert. Die christliche Hospizhaltung mit zu tragen, das ist uns wichtig. Und wir erleben hier im Haus auch manchmal, dass Menschen sich an ihren Glauben erinnern oder spirituelle Bedürfnisse entstehen. Wir beeinflussen das nicht, sondern begleiten das nur. In der kleinen Hauskapelle haben wir schon viel gefeiert: Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten oder Andachten.

Verändert die Debatte über assistierten Suizid die Arbeit im Hospiz- und Palliativdienst? Ich kann gut verstehen, wenn jemand ein schweres und belastendes Leiden nicht aushalten will, das muss ernst genommen werden. Aber: Die Hospizbewegung lehnt eine aktive Sterbehilfe ab, wir bieten stattdessen eine aktive Sterbebegleitung an. Und wenn Menschen bei uns anrufen und fragen: „Kann ich bei Ihnen die Spritze bekommen, damit ich endlich sterben kann?“, dann brechen wir das Gespräch nicht ab, sondern hören zu und fragen genau nach, wo denn die Not ist. Wir haben hospizlich und palliativ sehr viele Möglichkeiten, um Nöte am Lebensende zu lindern und die Belastungen stark zu reduzieren, das vermitteln wir den Menschen. Wir haben hier schon erlebt, dass Patienten die Telefonnummer eines Sterbehilfevereins herausgesucht hatten und durch das Erleben hier im Haus davon abgesehen haben. Wir müssen aber auch akzeptieren, dass Menschen einen schnellen Tod vorziehen wollen. Und was eine gesetzliche Regelung betrifft: Ich bin persönlich nicht der Meinung, dass wir das legalisieren sollten.

Wie haben deine mehr als 40 Berufsjahre in der Pflege, davon 20 Jahre als Leiter des Hospiz Luise deine Einstellung zum Tod verändert? Gehst du gelassener mit der eigenen Vergänglichkeit um? (Lacht) Das ist nicht einfach zu beantworten. Manchmal denke ich, dass ich ganz genau weiß, wie es sein soll. Und am nächsten Tag denke ich ‚oh Gott, ich will nicht, dass mein Leben endlich ist‘. Die Jahre hier im Haus haben mir gezeigt, wie bunt und schön auch ein Lebensende sein kann. Außerdem habe ich von vielen Schwerstkranken und Zugehörigen viel gelernt, auch wenn sich das manchmal erst viel später gezeigt hat. Und das hört nicht auf, ich werde ein Lernender bleiben.

Und was ist dir ein Trost im Umgang mit Abschieden? Sterben gehört zum Leben – und Leben ist Sterben. Darüber zu reden, Zeit geben zum Abschiednehmen, einen Abschied zu gestalten, das ist uns im Hospiz wichtig.  Da hilft das Gespräch im Leitungsteam und die externe Supervision, also das Reflektieren unserer Erfahrungen. Das gehört auch für alle Haupt- und Ehrenamtlichen von Anfang an dazu.

Du wirst im Sommer 2024 in den Ruhestand gehen, deine Leitungsstelle ist ausgeschrieben. Wie geht es für dich persönlich weiter? In den verbleibenden Monaten werde ich den Abschied aus dem Hospiz Luise hoffentlich gut gestalten können. Danach werde ich mit meinem Ehemann Horst nach Reinbek bei Hamburg umsiedeln, darauf freu ich mich schon sehr.

Gibt es etwas, das du deinem Nachfolger bzw. deiner Nachfolgerin wünschst? Was hier gewachsen ist in den letzten Jahren, das konnte überhaupt nur mit vielen anderen zusammen entstehen, die mitmachen und den hospizlichen Gedanken leben - im Hospiz mit dem Leitungsteam, jedem einzelnen Mitarbeitenden und in dem Netzwerk drumherum. Ich wünsche meiner Nachfolge, dass dieses gute Miteinander weitergeht und weiter bestehen kann, bei allen Herausforderungen, die es gibt.

(Das Gespräch führte die Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit im Hospiz Luise, Hilde Weeg).